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Hermann J. Busch
Friedrich Ladegast - Leben und Werk
Friedrich Ladegast wurde am 13. August 1818 in Hochhermsdorf bei Geringswalde (09326 Hermsdorf) als Sohn des Tischlers und Zimmermanns Christlieb Ladegast und seiner Ehefrau Rosina, geb. Dathe, geboren. Die erste Ausbildung erhielt er in der Orgelbauwerkstatt seines älteren Bruders Christlieb in Geringswalde. In dieser Zeit fallen die ersten selbständig gebauten Instrumente, die Ladegast in seinem Werkverzeichnis 1875 als Opus 1 und Opus 2 führte. Spätestens 1848 dürfen wir also die Lehrjahre für beendet ansehen, und Ladegast arbeitete in den folgenden Jahren bei einer Reihe sächsischer Orgelbauwerkstätten, die in der Tradition der Silbermann-Nachfolge standen.
1846 gründete Ladegast in Weißenfels seine eigene Werkstatt. Die Anfänge waren schwierig und Ladegast sah sich nach Helfern um. Der Merseburger Domorganist Engel hat seine Begegnung mit dem jungen, noch erfolglosen Meister anrührend geschildert: "Kurz nach meiner Anstellung in Merseburg, Ostern 1848, hatte ich einen jungen Orgelbauer, Namens Ladegast, hier kennengelernt. Er war gekommen, mir seine Noth zu klagen. ( ... ) allein Hülfe konnte ich ja auch nicht gleich bieten. Es verging ein volles Jahr, ehe es sich fügte, dass der Graf Zech-Burkersrode ihm in dem kleinen Dorf Geusa bei Merseburg den ersten kleinen Orgelbau anvertraute. "
Ladegast hatte außergewöhnliche Anstrengungen unternommen, um das Vertrauen des königlichen Orgelrevisors zu rechtfertigen. Engel schreibt:
"Die am 9. September 1849 stattgehabte Abnahme dieser Orgel erregte mein höchstes Entzücken. Ich fand ein in jeder Beziehung reizendes Werkchen." Dieser Erfolg hat wohl unseren Meister zur Gründung eines Hausstandes ermutigt: 1850 heiratete er Bertha Lange, die Tochter des Weißenfelser Stadtorganisten, die selbst Orgel spielte und ihren kränklichen Vater häufig im Organistenamt vertrat.
Unter diesen frühen Orgeln Ladegasts in der Umgebung Merseburgs, ist die unverändert erhalten gebliebene Orgel in Hohenmölsen von 1851 mit 24 Registern die größte. Sie ist zugleich die erste einer langen Reihe, über die in der "Urania", der deutschen Orgelzeitschrift des 19. Jahrhunderts, ausführlich berichtet wurde. Der Autor kann auch berichten, dass die glänzende Beurteilung, die das Instrument durch den Merseburger Domorganisten erfuhr, den Ausschlag gab, dass ihm "Die Reparatur der großen Domorgel in Merseburg (für den Preis von 4.500 Thlr.)" übertragen wurde.
Bald war aus der Merseburger Reparatur ein Neubau des Instruments für 6.258 Taler geworden, der im Sommer in Angriff genommen und nach zweijähriger Bauzeit am 17. September 1855 der abschließenden Revision unterzogen wurde.
Franz Brendel, einer der namhaftesten deutschen Musikpublizisten des 19. Jhds., Redakteur der "Neuen Zeitschrift für Musik" und Vorkämpfer der Neudeutschen Schule, besuchte das Merseburger Instrument schon während der Aufstellung und kündigte am 31. August 1855 mit der Vorhersage die Einweihung an: "Dass dieses Orgelwerk einen neuen Abschnitt in der Orgelbaukunst bezeichne, indem hier Dinge erreicht worden sind, die bisher an keiner anderen Orgel vorkommen."
Von den beiden nächsten großen Aufträgen kommt einer noch aus nächster Nähe von Weißenfels. Ladegast baut seine erste dreimanualige Orgel mit 34 Registern 1857 für die Kirche der Landesschule Schulpforta. Im gleichen Jahr geht jedoch ein Werk mit zwei Manualen und 39 Registern nach Memel in Ostpreußen. Ebenfalls 1857 wird noch ein kleines Werk nach Niederschlesien geliefert, und damit ist Ladegast durch den Ruhm der Merseburger Domorgel aus der Sphäre des regional begrenzt arbeitenden Orgelbauers hinausgetreten.
Am 1. März 1857 erhält Ladegast dann den zweiten ganz großen Auftrag seines Lebens, die Orgel für die Nikolaikirche in Leipzig. Das zunächst mit 59 Registern vorgesehene Instrument wuchs in der Planung bald auf 84 Stimmen und 4 Manuale an. Zur Vorbereitung des Leipziger Projekts unternahm Ladegast eine Studienreise nach Süddeutschland und Frankreich. Sein Bestreben, dabei neue musikalische Anregungen zu erfahren, fand er enttäuscht, in technischer Hinsicht aber hat er in Paris wichtige Anregungen erhalten: Das am 16. November 1862 eingeweihte Leipziger Riesenwerk wies zwei wichtige Neuerungen auf, die auf den Einfluss Aristide Cavaille-Colls zurückgehen.
Erstmals verwendet Ladegast hier die Barkermaschine, erstmals sind die Windladen von drei Manualen in je zwei Abteilungen geteilt, die über Sperrventile ein- und ausgeschaltet werden können.
Im folgenden Jahr konnte der Meister für die Stadtkirche seiner Heimatgemeinde Weißenfels ein dreimanualiges Instrument mit 41 Registern fertigstelIen. Im Jahr darauf eine 39registrige Orgel für die Schlosskirche in Wittenberg. Zahlreiche kleinere Instrumente wurden in den sechziger und siebziger Jahren für Dörfer in der Umgebung von Weißenfels geliefert, gingen aber auch immer wieder nach Görlitz und Umgebung. Dabei war 1866 eben auch die Orgel in Reichenbach OlL.
Ungeklärt ist noch, wie es zu zwei Aufträgen 1865 und 1869 in der Pfalz kam. Das Jahr 1867 sah die Weißenfelser Orgelbauer bei der Aufstellung von drei zweimanualigen Instrumenten in Lettland. 1868 ging sogar eine Orgel in den "Musiksaal des Herren Cludoff" nach Moskau. Mehrere Aufträge der Jahre 1868 bis 1871 führte Ladegast in Gemeinschaftsarbeit mit seinen früheren Mitarbeitern Geissler (Eilenburg) und Rühlmann (Zörbig) aus, denn am 26. Februar 1866 war der Vertrag über die dritte viermanualige Orgel geschlossen worden, die Ladegast endgültig in die erste Reihe der europäischen Orgelbauer seiner Zeit einrücken ließ und die von diesem Ruhm bis auf den heutigen Tag kündet: Die Orgel des Domes zu Schwerin.
Das nicht nur für Ladegast sensationelle Neue an dieser Orgel war technischer Art: "Die pneumatischen Hebel für die Register und das Crescendo und Decrescendo des ganzen Werks ... sind neue Einrichtungen, welche keine andere Orgel in Deutschland aufzuweisen hat." Erfunden hat Ladegast die pneumatische Steuerung der Schleifen nicht, Cavaille-Coll hat sie 1863 und 1866 an seinen beiden größten Orgeln in Paris, Saint-Sulpice und Notre-Dame, erstmals gebaut, und wir dürfen in der Übernahme dieser Novität sicher ein weiteres Indiz für den Austausch zwischen den beiden Großmeistern sehen.
Noch während der Arbeit an der Schweriner Domorgel erringt Ladegast einen großen Erfolg bei einem Wettbewerb, an dem sich einige der namhaftesten Orgelbauer Europas beteiligten. Die "Gesellschaft der Musikfreunde" in Wien baute 1869 ihr neues Gebäude mit dem inzwischen weltberühmt gewordenen Konzertsaal und versandte im Januar 1869 eine Ausschreibung über den Bau der Orgel für diesen Saal an die renommiertesten Orgelbauer des Kontinents: Es siegte Ladegasts vielfach gerühmte "Bescheidenheit der Forderungen". Er legte deutlich das günstigste Angebot vor, 44 Register für 6.575 Taler.
Gleichzeitig mit der Wiener Orgel entstand die 47registrige Orgel für die Stadtkirche in Köthen, als nächste große Arbeit wurde 1874 der gründliche Umbau der Orgel der Pauliner-Kirche zu Leipzig abgeschlossen.
Mit dem Bau der dreimanualigen Orgel für die Apostelkirche in Münster, dem Sitz des westfälischen Oberkonsistoriums, erschloss sich Ladegast ein neues Wirkungsfeld. Zwischen 1875 und 1905 gingen 10 Orgeln aus Weißenfels nach Westfalen, darunter dreimanualige Instrumente nach Siegen 1877 und Altena 1894. Zwei repräsentative Aufträge gingen in den siebziger Jahren nach Osten, eine dreimanualige Orgel für die Kreuzkirche in Posen (Poznan) unverändert erhalten! - und die bis dahin viertgrößte Orgel Ladegasts für die Ritter- und Domkirche in Reval (TalIinn), 1878 mit 58 Registern auf drei Manualen fertig gestellt. Hier gab Ladegast eine "Kurze Beschreibung der neuen Orgel in der Ritter- und Domkirche zu Reval nebst Andeutungen über den Gebrauch derselben" im Druck heraus. Mit diesen "Andeutungen" stellte sich Ladegast in die Tradition jener Orgelbauer, die für ihre Instrumente Registrierungsanweisungen hinterlassen haben.
1890 wird Ladegast an der Ausschreibung für die zweitgrößte Orgel Deutschlands beteiligt, die in der Hamburger Nikolaikirche gebaut werden sollte. Den Auftrag für das hundertregistrige Werk erhält jedoch die Firma Röver in Hausneindorf.
Ein letztes Mal tritt Friedrich Ladegast öffentlich in Erscheinung, als im November 1895 umfangreiche Arbeiten an der Leipziger Nikolaiorgel abgeschlossen sind. "Altmeister Ladegast,
der trotz der Last seiner 78 Jahre noch eine beneidenswerte Frische und Rüstigkeit besitzt, führte am Abend des 7. November das mächtige Werk einem geladenen Kreise andächtiger Zuhörer vor und zeigte sich hier sowohl als unübertroffener Meister der Intonation wie auch als ein Künstler, der sein Werk ausgiebig zur Geltung zu bringen vermag." Im achtzigsten Lebensjahr übergab der Vater dem Sohn die Firmenleitung. Am 30. Juni 1905 starb Friedrich Ladegast in Weißenfels im Alter von 87 Jahren.